Nespresso-Prinzip macht E-Zigaretten zum großen Geschäft - WELT (2024)

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An Selbstbewusstsein mangelt es Adam Bowen und James Monsees offensichtlich nicht. Die beiden Amerikaner sind die Erfinder und mittlerweile auch erfolgreichen Verkäufer einer E-Zigarette namens Juul. Statt Tabak zu verbrennen, verdampft das Gerät Flüssigkeiten, die jedoch hohe Mengen Nikotin enthalten.

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„Ich vergleiche die Juul immer mit einem Sicherheitsgurt im Auto“, sagt der 43-jährige Bowen im WELT-Gespräch. Schließlich rette beides Leben – seine E-Zigarette bewahre Raucher vor dem Krebstod, und der Gurt erhöhe die Chance, einen schweren Autounfall zu überleben.

Zum Verkaufsstart in Deutschland sind die Stanford-Absolventen aus San Francisco nach Hamburg gekommen. Im Separee eines Luxushotels geben sie Kurzinterviews und verbreiten ihre Mission: Bowen und Monsees wollen weltweit eine Milliarde Raucher vor den tödlichen Folgen des Tabakrauchens schützen und sie zum Umstieg auf ihre E-Zigarette bewegen.

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Dass die Juul zumindest in den Vereinigten Staaten eine extrem hohe Menge an Nikotin enthält und deren Käufer ähnlich abhängig machen kann wie eine starke Tabakzigarette, stört die beiden Kalifornier nicht. „Nikotin verursacht keine Krankheiten“, behauptet der 38-jährige Monsees schlicht. Suchtmediziner werden da widersprechen.

Der Einstieg von Juul in den deutschen Zigarettenmarkt ist exemplarisch für das, was sich gerade an Umwälzung im weltweiten Tabakmarkt entwickelt. Galten E-Zigaretten im vergangenen Jahrzehnt noch als Nischenprodukt, das in China hergestellt und von Kleinsthändlern nach Deutschland importiert wird, so ist diese Variante des Rauchens jetzt vollends bei den Tabakkonzernen angekommen.

Günstige Dampfgeräte, teure Liquid-Kapseln

Das Geschäft funktioniert nach dem Nespresso-Prinzip: Die Dampfgeräte werden günstig angeboten oder über Beigaben von Liquids, das sind die zum Betrieb notwendigen Flüssigkeiten, sogar verschenkt. Das große Geld wird mit den teuren Liquid-Kapseln verdient. Ein typischer Preis liegt bei fünf Euro für einen Mini-Tank. Die darin enthaltene Menge für das Raucherlebnis ist vergleichbar mit ein bis zwei Zigarettenpackungen.

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Die jüngsten Aktivitäten der Tabakkonzerne reichen weit und sind teilweise sehr teuer. So wie das Beispiel Juul: Kurz vor Weihnachten hat der amerikanische Tabakriese Altria mit der Hauptmarke Marlboro für rund 13 Milliarden Dollar (elf Milliarden Euro) 35 Prozent der Gesellschaftsanteile des kalifornischen Unternehmens Juul Labs gekauft.

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Neben den beiden Gründern sind an Juul bislang die Investoren Tiger Global Management, Fidelity Investments und Tao Capital maßgeblich beteiligt. Bei einer Finanzierungsrunde im vergangenen Juni war das kalifornische Unternehmen noch mit insgesamt 16 Milliarden Dollar bewertet worden. Durch das Geschäft mit dem Marlboro-Konzern sind es nun schon 38 Milliarden Dollar. So werden Milliardäre gemacht.

Geld spielt in der Zigarettenindustrie, in der hierzulande von jedem Euro Umsatz die Hälfte als Gewinn abfällt, eine untergeordnete Rolle. Unmittelbar davor hatte Altria ebenfalls mit einem Milliarden-Deal 45 Prozent an dem kanadischen Cannabis-Produzenten Cronos erworben. Der Marlboro-Konzern ist mit hohem Einsatz dabei, sich ein Geschäftsleben nach der Tabakzigarette aufzubauen.

Regulierung für E-Zigarette steckt noch in den Anfängen

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Dazu gehören eigene Entwicklungen wie der Tabakerhitzer Iqos und das Dampfgerät Mesh oder auch Zukäufe bis hinein in die Welt der Drogen. Anders als in anderen Industriebereichen ist die Digitalisierung in der Tabakwelt für große Unternehmen keineswegs nur eine Bedrohung. Sie nutzen ihre Milliardengewinne aus dem klassischen Tabakgeschäft und bauen sich neue Geschäftsfelder auf.

In Europa wiederum hat British American Tobacco (BAT) den deutschen E-Zigarettenhändler Quantus gekauft, zu dem die Kette Highendsmoke mit 91 Ladengeschäften gehört. Konkurrent Reemtsma pflastert gerade die Städte mit Plakaten der neuen E-Zigarette namens Blu zu. In den USA ist diese Marke bereits die Nummer zwei. Mit Juul wiederum kommt in Deutschland ein Branchenneuling hinzu.

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Bislang ist der deutsche E-Zigaretten-Markt stark zersplittert. Allenfalls die BAT-Marke Vype kommt auf eine zweistellige Prozentzahl im Verkaufsanteil. Deutschland ist mit rund 20 Millionen Rauchern und einer Raucherquote von etwa 24 Prozent extrem interessant für die weltweiten Zigarettenverkäufer. Und weil das Dampfen von Flüssigkeiten nachweislich weniger Belastungen für die Gesundheit mit sich bringt als das Tabakrauchen, erhoffen sich die Hersteller langfristig zunehmendes Geschäft.

Das alles geschieht jedoch vor einer politisch nahezu unbespielten Bühne. Denn die Regulierung für E-Zigaretten steckt noch in den Anfängen. Eine mit der Tabaksteuer vergleichbare Abgabe existiert nicht. Dabei gehört Deutschland zu den weltweit fünf größten E-Zigaretten-Märkten – neben den USA, Großbritannien, Italien und Frankreich. Diese Länder machen gut 70 Prozent des weltweiten Verkaufs der Dampfgeräte und ihrer Flüssigkeiten aus.

Jeder zehnte Raucher greift zur E-Zigarette

Nach verlässlichen Branchenangaben gibt es hierzulande rund 1,7 Millionen E-Zigaretten-Nutzer. Mithin greift jeder zehnte Raucher zu dieser Alternative. Als Umsatz erwartet die Branche für 2018 mindestens 400 Millionen Euro. Jeweils die Hälfte davon dürfte auf die Dampfgeräte und die Flüssigkeiten entfallen. Die jährlichen Wachstumsraten liegen bei etwa 30 Prozent – gegenüber einem um rund fünf Prozent schrumpfenden Markt für Tabakzigaretten.

Diesen Erfolg hat nun auch der Staat wahrgenommen. Und er möchte daran teilhaben: Im Bundesfinanzministerium wird an einer Abgabe auf die E-Zigarette gearbeitet, die der Steuer auf Tabakzigaretten ähnelt. Denkbar ist, dass der Nikotingehalt als Bezug für die Höhe herangezogen wird. Zahlen werden noch nicht genannt.

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Eine Steuer zwischen zwei Euro und fünf Euro je Liquid-Tank gilt als Anhaltspunkt. Möglich ist jedoch auch, dass zunächst eine gemeinsame Entscheidung der Europäischen Union (EU) angestrebt wird. Sie könnte europaweite Mindeststandards für die Steuern auf E-Zigaretten schaffen.

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„Damit es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, muss es eine Entscheidung auf EU-Ebene geben“, sagt Dustin Dahlmann. Der Lobbyist ist Vorstandsvorsitzender des Bündnisses für Tabakfreien Genuss und im Hauptberuf Chef des E-Zigaretten-Händlers Innocigs. Dahlmann rechnet mit einer Entscheidung der EU-Gremien nicht vor dem Jahr 2020.

Uneinheitliche Besteuerung in Europa

Der Verweis auf die EU ist nachvollziehbar. E-Zigaretten und die Flüssigkeiten werden zu einem hohen Anteil im Online-Handel gekauft, die Kundschaft gilt als online-affin. Kommt es zu vielen unterschiedlichen Steuersätzen zwischen den EU-Ländern, dürfte der Kauf über die nationalen Grenzen hinweg zunehmen.

Länder wie Italien, Griechenland oder Finnland haben bereits Fakten geschaffen und eigene E-Zigaretten-Steuern festgelegt. Kurzzeitig hatte dies in Italien dazu geführt, dass sich die Flüssigkeiten im Preis verdoppelten. Die Folgen waren ein Verkaufseinbruch und eine Zunahme im grenzüberschreitenden Handel. Danach hat das italienische Finanzministerium den Steuersatz halbiert.

Doch auch auf anderen Gebieten ist Regulierung durch den Staat denkbar. Kritiker aus der Suchtforschung stören sich daran, dass Aromen wie Vanille, Mango oder Minze in den Flüssigkeiten den Geschmack beeinflussen und das Nikotin weniger stark erscheinen lassen. In der Gesundheitspolitik wird darüber diskutiert, bestimmte Aromazusätze zu verbieten.

Bei Tabakzigaretten ist dies bereits der Fall: Mentholzigaretten dürfen ab Mai 2020 in Deutschland nicht mehr verkauft werden. Auch beim Jugendschutz sind noch Verschärfungen denkbar. So könnte Werbung in sozialen Medien untersagt werden, um Jugendliche besser vor dem Einstieg in das Rauchen von E-Zigaretten zu schützen.

In der EU ist der Nikotinanteil stärker limitiert als in den USA

Immerhin kann in Europa nicht das passieren, was in den USA gerade Millionen Eltern jugendlicher Kinder aufgeschreckt hat. In den Highschools gilt die Marke Juul als das iPhone der E-Zigarette. Jugendliche konsumieren beim Dampfen Flüssigkeiten, die 50 Milligramm Nikotin pro Milliliter Liquid enthalten. Ein derartig schwindelerregender Nikotinschock gilt unter Gesundheitsexperten als Gefahr für junge und ungeübte Raucher.

Den hohen Nikotingehalt begründen die Manager Bowen und Monsees damit, dass Zigarettenraucher nur dann auf eine E-Zigarette umsteigen würden, wenn sie ein ähnliches Raucherlebnis hätten wie bei einer klassischen Tabakzigarette. Im selben Atemzug beschwören die beiden Firmengründer den Jugendschutz und versprechen eine effektive Kontrolle im Online-Verkauf.

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In der EU verhindert die jüngste Tabakrichtlinie derartige Exzesse. Erlaubt sind hier maximal 20 Milligramm Nikotin pro Milliliter. Entsprechend entschärft kommt das US-Produkt denn auch in den europäischen Verkauf.

Für die Juul-Gründer Bowen, der in der Freizeit sein eigenes Bier braut oder als Kitesurfer auf den Pazifik geht, und Monsees, der gerne Holzmöbel baut oder den Hund ausführt, ist das keine Alternative. Die beiden Raucher bleiben nach eigener Aussage lieber bei der echten Variante aus den Vereinigten Staaten.

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Author: Arielle Torp

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